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Kapitel   IX

Tom geht eine Straße lang,
die ihn führt in eine Stadt;
von ferne tönt schon herrlich^ Klang,

der Verführerisches hat.
Die Leute strömen um ihn her:
mancher kaut an einem Blatt,

ein and´rer klappert mit der Scher´,
die an Bändern um ihn eiert;
es erscheint ihm wie ein Heer,

das üb´rall seine Orgien feiert,
und in vollem Sinnesrausch
gleiche Texte runterleiert.

Etwas abseits von dem Bausch
sitzt ein Jüngling wie verloren,
* kuschelt sich in weichen Flausch,

sein´ Gedanken ~ wohl verworren.
"Schöner Bruder dieser Feen,
hast * den Platz hier auserkoren,

um dem Trubel zuzuseh`n?"
Der Bursche blickt nun fragend auf
und schüttelt seine lange Mähn´.

"Ein Wand´rer bist *, - nicht aus dem Hauf^
dieser sinnesfreud´gen Menge;
darum nehm´ ich es auch in Kauf,

zu erzähl´n in voller Länge.
Immer schon lebt´ ich im Ort,
in dieser altvertrauten Enge;

war´s mir doch ein guter Hort,
all´ Genüsse auszukosten.
Doch die Freude ist nun fort;

* stehe auf verlor´nem Posten,
- Heiterkeit ich nicht mehr find´.
Meine Triebkräft´ alle rosten,

langsam werd´ ich taub und blind.
Früher konnt´ ich tanzen, lachen,
selbst als ganz, ganz kleines Kind,

und verrückte Dinge machen;
denn durch den Reichtum der Gemeind´
gibt´s für jeden alle Sachen.

Ich kenne niemand, der ein Feind ~,
uns´re Freßgier aufzuhalten;
und auch keiner hier verneint,

uns´re Sinne mal mit kalten
elektronischen Maschinen
ganz genüßlich hochzuschalten.

Da saust und braust es wie die Bienen,
- verändert wird auf einem Raster -,
Verzückung spiegelt sich auf Mienen.

Ich kenne alle Sinneslaster,
* hab´ schon vieles ausprobiert,
* braucht´ ja dafür keinen Zaster.

* Hab´ die Ohren drangsaliert
mit berauschendem Gesang,
und Maschinen konstruiert,

damit der Sex kommt gut in Gang;
* hab´ die meisten Frau´n verführt,
- die Nächte waren ja so lang -,

* ward zum 'Säufer-king' gekürt,
das Scheißhaus um die Ecke war.
Im Herzen hab´ ich nie gespürt,

obwohl ich war ein großer Star,
daß mich irgendwas berührt´,
wenn im Sinnesrausch ich war.

Die Kehle ist nun zugeschnürt,
kein Genuß kann Freud´ entlocken;
ich bekomm´, was mir gebührt,

* muß ewig in der Hölle hocken."
"Frohe Kunde geb´ ich Dir,
- gleich haut´s Dich aus Deinen Socken -,

bereit bist Du zu geh´n von hier,
zu beenden dieses Treiben;
denn nimmer leitet Dich die Gier,

Körperlüste großzuschreiben.
Ein weites Feld steht Dir nun offen,
- erforsch´ es nur in kleinen Scheiben -;

denn die Seel´ ist nicht ersoffen
in der bunten Sinneswelt.
Darum kannst Du wieder hoffen,

daß die Glocke Dir oft schellt,
welche bringt Dir himmlisch´ Freude.
Nicht die ird´sche Lust erhält

Dein feines Seelenreich-Gebäude;
Tugendlosigkeit fällt ab,
wie Haare bei der Gemsenräude.

Bist * im Stoff: - es ist Dein Grab.
Wenn`s Bewußtsein dort nur ist,
wo sich dreht Dein´ Geistesnab´,

die Erdvergnügen Du vergißt;
denn solch^ Besitz Du nun begehrst,
den die Zeit nie mehr auffrißt.

Wenn mit dem Geist Du einst verkehrst,
fühlst * mit Allem Dich vereint;
die jünger´n Brüder dann belehrtst *,

was mit Liebe ist gemeint.
Doch vorerst einmal mußt Du suchen,
- mancher hat schon d´rum geweint,

und wollte diesen Weg verfluchen -,
wo überhaupt die Seel´ denn steckt.
Bevor Du bäckst Dir einen Kuchen

vom Streben, das in Dir erweckt ~,
brauchst Du Unterscheidungsgeist,
was den Körper Dir befleckt,

oder göttlich´ Gnad´ verheißt.
Verspürst Du Frohsein, das nicht schwindet:
das den ersten Schritt Dir weist;

vergänglich^ Glück jedoch Dich bindet
schwer an ird´ne, stofflich´ Ketten.
Ich hoff´, ² den Weg Dein´ Seele findet,

aus Verhaftung Dich zu retten,
um Dich später mit den ander´n
in überird´sche Reich´ zu betten.

Köstlich^ Naß aus Deinen Grandern
sollt´ zur Menschen-Einheit fließen;
Dein´ Gedanken sollten wandern

auf den spendend^, heil´gen Wiesen.
Nächstenlieb´ - ~ der erste Schritt,
seinen Segen auszugießen;

geleitet wird der weit´re Ritt
durch ein überströmend^ Herz,
welches jenes Sein betritt,

- nicht berührt von ird´schem Schmerz -,
welches Gotteseinheit ist."
Beide blicken himmelwärts;

aus dem Aug´ man Sehnsucht liest,
in der Seelenwelt zu weilen.
"`Ne Vision nun durch mich schießt;

vielleicht der Weg dorthin kann heilen.
Ein´n Blick, was Gnad´ ist, konnt´ * erhaschen."
"* Brauchst Dich nicht zu sehr beeilen,

sonst gießt * ein in Deine Taschen,
was niedrig´ Sphär´ als 'gut' hinstellt.
Deine Laster mußt Du waschen,

daß kein Dreck sich an Dir hält;
nimm nur das, was ewig bleibt,
wenn schwer Dir die Entscheidung fällt."

"Ich wollt´, ich wär´ schon einverleibt
in dem Schöpfungseinheit-Bund;
doch die Seel´ noch in mir schweigt,

* wartet, bis der ganze Grund
von Geistesgütern ist bedeckt."
Hoffnungsvoll ob diesem Fund,

der Lebensfunk´ ~ in ihm geweckt,
stimmt er an `nen alt^ Gesang,
der voller Liebe, Weisheit steckt.

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