Da wir noch Zeit haben, meine Herren, eine frische Flasche auszutrinken, so will ich Ihnen noch eine andere sehr seltsame
Begebenheit erzählen, die mir wenige Monate vor meiner letzten Rückreise nach Europa begegnete. Der Großherr, welchem ich durch
die römisch-russisch-kaiserlichen wie auch französischen Botschafter vorgestellet worden war, bediente sich meiner, ein Geschäft von
großer Wichtigkeit zu Großkairo zu betreiben, welches zugleich so beschaffen war, daß es immer und ewig ein Geheimnis bleiben
mußte.
Ich reisete mit großem Pompe in einem sehr zahlreichen Gefolge zu Lande ab. Unterwegs hatte ich Gelegenheit, meine Dienerschaft
mit einigen sehr brauchbaren Subjekten zu vermehren. Denn als ich kaum einige Meilen weit von Konstantinopel entfernt sein mochte,
sah ich einen kleinlichen, schmächtigen Menschen mit großer Schnelligkeit querfeldein daherlaufen, und gleichwohl trug das
Männchen an jedem Beine ein bleiernes Gewicht, an die fünfzig Pfund schwer. Verwunderungsvoll über diesen Anblick rief ich ihn an
und fragte: "Wohin, wohin so schnell, mein Freund? Und warum erschwerst du dir deinen Lauf durch eine solche Last?" "Ich lief",
versetzte der Läufer, "seit einer halben Stunde aus Wien, wo ich bisher bei einer vornehmen Herrschaft in Diensten stand und heute
meinen Abschied nahm. Ich gedenke nach Konstantinopel, um daselbst wieder anzukommen. Durch die Gewichte an meinen Beinen
habe ich meine Schnelligkeit, die jetzt nicht nötig ist, ein wenig mindern wollen. Denn Moderata durant, pflegte weiland mein Präzeptor
zu sagen." - Dieser Asahel gefiel mir nicht übel; ich fragte ihn, ob er bei mir in Dienst treten wollte, und er war dazu bereit. Wir zogen
hierauf weiter durch manche Stadt, durch manches Land. Nicht fern vom Wege auf einem schönen Grasrain lag mäuschenstill ein Kerl,
als ob er schliefe. Allein das tat er nicht. Er hielt vielmehr sein Ohr so aufmerksam zur Erde, als hätte er die Einwohner der untersten
Hölle behorchen wollen. - "Was horchst du da, meinFreund?"- "lch horche da zum Zeitvertreibe auf das Gras und höre, wie es wächst." -
"Und kannst du das?" - "O Kleinigkeit!" "So tritt in meine Dienste, Freund, wer weiß, was es bisweilen nicht zu horchen geben kann." -
Mein Kerl sprang auf und folgte mir. Nicht weit davon auf einem Hügel stand mit angelegtem Gewehr ein Jäger und knallte in die blaue,
leere Luft. - "Glück zu, Glück zu, Herr Weidmann! Doch wonach schießest du? Ich sehe nichts als blaue, leere Luft." - "O, ich versuchte
nur dies neue Kuchenreutersche Gewehr. Dort auf der Spitze des Münsters zu Straßburg saß ein Sperling, den schoß ich eben jetzt
herab." Wer meine Passion für das edle Weid- und Schützenwerk kennt, den wird es nicht wundernehmen, daß ich dem vortrefflichen
Schützen sogleich um den Hals fiel. Daß ich nichts sparte, auch ihn in meine Dienste zu ziehen, versteht sich von selbst. Wir zogen
darauf weiter durch manche Stadt, durch manches Land und kamen endlich vor dem Berge Libanon vorbei. Daselbst vor einem großen
Zedernwalde stand ein derber, untersetzter Kerl und zog an einem Stricke, der um den ganzen Wald herumgeschlungen war. "Was
ziehst du da, mein Freund?" fragte ich den Kerl. - "O, ich soll Bauholz holen und habe meine Axt zu Hause vergessen. Nun muß ich mir
so gut helfen, als es angehen will." Mit diesen Worten zog er in einem Ruck den ganzen Wald, bei einer Quadratmeile groß, wie einen
Schilfbusch vor meinen Augen nieder. Was ich tat, das läßt sich raten. Ich hätte den Kerl nicht fahren lassen, und hätte er mir meinen
ganzen Ambassadeurgehalt gekostet. Als ich hierauf fürbaß und endlich auf ägyptischen Grund und Boden kam, erhob sich ein so
ungeheuerer Sturm, daß ich mit allen meinen Wagen, Pferden und Gefolge schier umgerissen und in die Luft davongeführt zu werden
fürchtete. Zur linken Seite unseres Weges standen sieben Windmühlen in einer Reihe, deren Flügel so schnell um ihre Achsen
schwirrten als ein Rückenspindel der schnellsten Spinnerin. Nicht weit davon zur Rechten stand ein Kerl von Sir John Falstaffs
Korpulenz und hielt sein rechtes Nasenloch mit seinem Zeigefinger zu. Sobald der Kerl unsere Not und uns so kümmerlich in diesem
Sturme haspeln sah, drehete er sich halb um, machte Fronte gegen uns und zog ehrerbietig, wie ein Musketier vor seinem Obersten,
den Hut vor mir ab. Auf einmal regte sich kein Lüftchen mehr, und alle sieben Windmühlen standen plötzlich still. Erstaunt über diesen
Vorfall, der nicht natürlich zuzugehen schien, schrie ich dem Unhold zu: "Kerl, was ist das? Sitzt dir der Teufel im Leibe, oder bist du der
Teufel selbst?" -"Um Vergebung, Ihre Exzellenz!", antwortete mir der Mensch; "ich mache da nur meinem Herrn, dem Windmüller, ein
wenig Wind. Um nun die sieben Windmühlen nicht ganz und gar umzublasen, mußte ich mir wohl das eine Nasenloch zuhalten." - Ei,
ein vortreffliches Subjekt! dachte ich in meinem stillen Sinn. Der Kerl läßt sich gebrauchen, wenn du dereinst zu Hause kommst und
dirs an Atem fehlt, alle die Wunderdinge zu erzählen, die dir auf deinen Reisen zu Land und Wasser aufgestoßen sind. Wir wurden
daher bald des Handels eins. Der Windmacher ließ seine Mühlen stehen und folgte mir.
Nachgerade wars nun Zeit, in Großkairo anzulangen. Sobald ich daselbst meinen Auftrag nach Wunsch ausgerichtet hatte, gefiel es
mir, mein ganzes unnützes Gesandtengefolge außer meinen neuangenommenen nützlichern Subjekten zu verabschieden und mit
diesen als ein bloßer Privatmann zurückzureisen. Da nun das Wetter gar herrlich und der berufene Nilstrom über alle Beschreibung
reizend war, so geriet ich in Versuchung, eine Barke zu mieten und bis Alexandrien zu Wasser zu reisen. Das ging nun ganz vortrefflich
bis in den dritten Tag. Sie haben, meine Herren, vermutlich schon mehrmals von den jährlichen Überschwemmungen des Nils gehört.
Am dritten Tage, wie gesagt, fing der Nil ganz unbändig an zu schwellen, und am folgenden Tage war links und rechts das ganze Land
viele Meilen weit und breit überschwemmet. Am fünften Tage nach Sonnenuntergang verwickelte sich meine Barke auf einmal in etwas,
das ich für Ranken und Strauchwerk hielt. Sobald es aber am nächsten Morgen heller ward, fand ich mich überall von Mandeln
umgeben, welche vollkommen reif und ganz vortrefflich waren. Als wir das Senkblei auswarfen, fand sich, daß wir wenigstens sechzig
Fuß hoch über dem Boden schwebten und schlechterdings weder vor noch rückwärts konnten. Ohngefähr gegen acht oder neun Uhr,
soviel ich aus der Höhe der Sonne abnehmen konnte, erhob sich plötzlicher Wind, der unsere Barke ganz auf eine Seite umlegte.
Hierdurch schöpfte sie Wasser, sank unter, und ich hörte und sah in langer Zeit nichts wieder davon, wie Sie gleich vernehmen werden.
Glücklicherweise retteten wir uns insgesamt, nämlich acht Männer und zwei Knaben, indem wir uns an den Bäumen festhielten, deren
Zweige zwar für uns, allein nicht für die Last unserer Barke hinreichten. In dieser Situation verblieben wir drei Wochen und drei Tage
und lebten ganz allein von Mandeln. Daß es am Trunkc nicht fehlte, verstehet sich von selbst. Am zweiundzwanzigsten Tage unsers
Unsterns fiel das Wasser wieder ebenso schnell, als es gestiegen war; und am sechsundzwanzigsten konnten wir wieder auf terra
firma fußen.
Unsere Barke war der erste angenehme Gegenstand, den wir erblickten. Sie lag ohngefähr zweihundert Klafter weit von dem Orte, wo
sie gesunken war. Nachdem wir nun alles, was uns nötig und nützlich war, an der Sonne getrocknet hatten, so versahen wir uns mit
den Notwendigkeiten aus unserm Schiffsvorrat und machten uns auf, unsere verlorne Straße wieder zu gewinnen. Nach der
genauesten Berechnung fand sich, daß wir an die hundertundfunfzig Meilen weit über Gartenwände und mancherlei Gehege
hinweggetrieben waren. In sieben Tagen erreichten wir den Fluß, der nun wieder in seinem Bette strömte, und erzählten unser
Abenteuer einem Bei. Liebreich half dieser allen unsern Bedürfnissen ab und sendete uns in einer von seinen eigenen Barken weiter.
In ohngefähr sechs Tagen langten wir zu Alexandrien an, allwo wir uns nach Konstantinopel einschifften. Ich wurde von dem Großherrn
überaus gnädig empfangen und hatte die Ehre, seinen Harem zu sehen, wo seine Hoheit selbst mich hineinzuführen und so viele
Damen, selbst die Weiber nicht ausgenommen, anzubieten geruhten, als ich mir nur immer zu meinem Vergnügen auslesen wollte.
Mit meinen Liebesabenteuern pflege ich nie großzutun, daher wünsche ich Ihnen, meine Herren, jetzt insgesamt eine angenehme
Ruhe.