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Des Ritters Suche

Es war einmal ein Ritter, der hörte von einem wunderschönen Fräulein am anderen Ende der Welt. Und da er sich oft einsam fühlte, beschloß er, sich auf die Suche nach ihr zu begeben.

Am Abend des ersten Tages kam er in einen finsteren Wald. Ein paar Wölfe heulten in seiner Nähe, und sie hätten es gerne gehabt, daß er mit ihnen mitheulte. Aber der Ritter lehnte ab, zog ihn doch die Sehnsucht nach dem Fräulein fort.

Es wurde immer dunkler, und er gelangte an einen schauerlichen Ort: Überall standen Galgenbäume, und an vielen waren Menschen aufgehängt. Dazwischen spannten sich Ketten, an denen Menschen hingen, die Steine klopften. Am Tor zu diesem Ort hing eine große Tafel, auf der geschrieben stand: "Willst Du durch dieses Land reisen, mußt Du einen Angeketteten aufhängen, ansonsten wird es Dir übel ergehen!"

Der Ritter erbarmte sich bei diesem trostlosen Anblick und fragte einen Angeketteten, warum er hier so schwer arbeite, und ob er frei sein wolle. Aber es war, als ob dieser nicht hören, nicht sehen und nicht sprechen könnte. Auch bei anderen, die in Ketten hingen, erging es dem Ritter nicht anders.

Also dachte er im Stillen bei sich: "Welchen Sinn sollte es haben, jemand, der schon so gut wie tot ist, auch noch aufzuhängen? Kann ich schon den Geketteten nicht helfen, so will ich dennoch wenigstens die Gehängten begraben." Er ging zum nächsten Galgenbaum und schnitt den erstbesten herunter.

Doch siehe und staune: Kaum kam der Erhängte am Boden auf, schritt er zu einem Geketteten und nahm dessen Platz ein. Dieser wiederum war plötzlich frisch und munter und ging zu einem Galgenbaum, um einen Gehängten zu befreien. Und so ging das weiter, bis alle Menschen frei waren.

Ihr könnt Euch natürlich vorstellen, daß es daraufhin ein großes Fest gab. Sieben Tage feierten sie alle. Dabei erfuhr der Ritter auch, warum sie nie erlöst worden waren: Denn auf diesem Ort lag ein uralter Fluch. Immer, wenn jemand einen Geketteten aufhängte, mußte er dessen Platz in der Kette einnehmen. Wollte jedoch einer durch das Land ziehen, ohne dies zu tun, fand er keinen Ausgang mehr, bis er nach Jahren dies doch tat. Bisher hatte niemand den Mut gehabt, den Toten auf den Galgenbäumen zu helfen.

Natürlich wollten die Menschen den Ritter zu ihrem König machen, da er ja ihrer aller Befreier war. Auch Schätze waren genug vorhanden, denn in den vielen Jahren waren viele Kristalle aus den Steinen herausgeschlagen worden.

Der Ritter stimmte zu, sie nach seinem besten Wissen und Gewissen zu regieren. Aber nach einer Weile kam wieder die Sehnsucht nach dem Fräulein über ihn. Also suchte er sich im Lande einige kluge Köpfe und lehrte sie, das Volk in Gerechtigkeit, Liebe und Weisheit zu führen. Dann zog er weiter, begleitet von den guten Wünschen der Bewohner.

Eines Abends kam er zu einem uralten Schloß. Kaum trat er ein, eilte ihm auch schon ein noch älterer Zauberer entgegen, der ihn mit giftigem Atem anschrie: "Du hast meine Geketteten und Gehängten befreit! Geh zurück und knechte sie wieder, dann will ich Dich ziehen lassen. Tust Du das nicht, will ich Dich auf immer und ewig in meine Ketten legen."

Der Ritter erwiderte: "Auf einen Handel mit Dir lasse ich mich nicht ein. Besser ist es, wenn die vielen Menschen frei bleiben. Du wirst Dich wohl mit mir begnügen müssen, wenn Du mich überhaupt zu fesseln vermagst."

Es war dem Zauberer anzusehen, daß ihm diese Antwort gar nicht gefiel. So holte er hinter seinem Rücken ein schwarzes Ebenholzkästchen hervor und sprach mit honigsüßer Stimme: "Schau, ich bin so alt und gebrechlich, daß ich Dir kein Eisen umlegen kann. Ich kann nicht einmal mehr mein Schloß verlassen. Willst Du mir nicht wenigstens ein paar Diener besorgen, die mich in meinem Alter behüten? Ich belohne Dich reich dafür, denn die Steine in diesem Kästchen sind viel wertvoller als Diamanten." Mit diesen Worten drückte er dem Ritter das Kästchen in die Hände.

Dieser öffnete die Schatulle und antwortete: "Diener will ich Dir nicht besorgen. Und da ich durch meine Befreiungsaktion alle Macht von Dir genommen habe, werde ich selbst Deine Fürsorge übernehmen. Jedoch Bezahlung nehme ich keine an." Im gleichen Augenblick warf er die Kristalle aus dem Kästchen hoch in die Luft.

Diese Steinchen, die nun fast wie Sternchen aussahen, boten einen wunderbaren Anblick, als sie in der Luft schwebten. Und indem sie aneinanderstießen und sich berührten erzeugten sie eine Melodie, die beinahe noch schöner klang als eine Himmelsharfe.

Dann senkte sich der Kristallschleier nieder und formte sich zu einem Silberschwan. Dabei ertönten die Worte: "Du, Zauberer, hast viel Übles getan. Dein Spiegelbild kann ich Dir nicht zeigen, es würde Dich vernichten. Ich kann Dir nur einen tiefen Schlaf gewähren, bis Du bereit dazu bist.

Und Du, Ritter, hast Dich heldenhaft bewährt. Ich biete Dir an, einen Schluck aus dem Heiligen Gral zu trinken. Es ist ein Zaubertrunk darinnen, der Dich sehend macht."

Dankbar nahm er den Schluck entgegen, woraufhin er wie im siebten Himmel schwebte. Und er sah.

Er sah, daß das allerschönste Fräulein immer mit ihm verbunden gewesen war, ihm bei jeder seiner Handlungen hilfreich zur Seite gestanden hatte. Ihr Glanz übertraf alles, das er sich hatte vorstellen können.

So vereint mit dem allerliebsten Wesen schritt der Ritter weiter durch die Welt, segenbringend, und keine irdische Macht konnte ihnen noch etwas anhaben.

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